Schrumpfmusik

Songs werden reif für die Welt der Handys. Neue Software aus Nürnberg quetscht die Daten so zusammen, dass sie durch die schmalen Funkkanäle passen

Von Stefan Schmitt

SATTE BÄSSE, KLARER GESANG: Der Song Flut der neuen deutschen Band Voltaire rockt. Doch in diesem Fall kommt das Lied von keinem Discman, dringt auch nicht über MTV oder UKW ins Haus. Sondern über Telefonkabel - mit einer schmalbrüstigen Datenrate von 32 Kilobit pro Sekunde, in Echtzeit. Große Überraschung. "Diesen Webstream können Sie selbst mit mickrigen Standardmodems empfangen", sagt Gerald Moser von Coding Technologies. Die Ingenieure der fränkischen Firma schaffen es, Musik in CD-naher Qualität durch ein analoges Telefonkabel zu zwängen - und bald auch aufs Handy. Ihre Technik wird unsere Art, Musik zu hören, radikal verändern.

Die Audiokomprimierung - die Kunst, Musikdateien immer kleiner zu kriegen - schien eine Grenze erreicht zu haben: Auch Formate wie der MP3-Nachfolger AAC (unter anderem vom iPod benutzt) oder WMA (Windows Media Audio) von Microsoft pendelten sich bei drei bis fünf Megabyte Größe pro Song in passabler Qualität ein. Bernhard Grill, Audioforscher am Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen in Erlangen, sagt: "Wer es noch kleiner wollte, brauchte einen Trick." Denn jede weitere Reduktion schien den Klang brutal zu verschlechtern.

Die Lösung kam aus den Tiefen des Ozeans: Der Schwede Lars Liljeryd entwickelte in den neunziger Jahren ein Funkgerät für Tiefseetaucher, die ein Helium-Luft-Gemisch atmen. Das schätzt die Lunge, verursacht aber eine Fistelstimme wie im Zeichentrickfilm. Liljeryd, auf der Suche nach der ursprünglichen Stimmhöhe, entdeckte einen elementaren Zusammenhang: Die hohen Schwingungen eines Tons lassen sich aus seiner Grundfrequenz rekonstruieren. Für die Tauchtechnik nützte ihm das nichts. Aber für die Musiktechnik, und mit der wird er nun reich.

Schneidet man nämlich die hohen Frequenzanteile aus dem Klangspektrum heraus, klingt der verbleibende Ton zunächst dumpf und wenig gehaltvoll. Fügt man den niedrigen Frequenzen aber eine Art Bauplan zum Wiederherstellen des Verlorenen bei, lässt sich der Höreindruck beim Abspielen wieder vollständig reproduzieren. Beim Transport von Musikdateien spart das viel Platz, ohne dass der Hörgenuss gemindert wird. Zusammen mit einigen Forschern um Martin Dietz, vorher MP3-Miterfinder am IIS, gründete Liljeryd die Firma Coding Technologies in Nürnberg. Ihre Methode, die hohen Frequenzen einzusparen, Spectral Band Replication (SBR) genannt, ist mittlerweile Bestandteil des internationalen Komprimierungsstandards MPEG.

Der zweite Trick, mit dem man Musik noch kleiner kriegt, heißt Parametric Stereo (PS) und nutzt die Tatsache aus, dass Stereomusik aus zwei Kanälen recht ähnlichen Inhalts besteht. Statt beide zu übertragen, wird daraus ein einziger Monokanal gemischt - allerdings mit Hinweisen versehen, wie sich beim Abspielen das Stereobild des Originals wiederherstellen lässt.

Die erste Version der Nürnberger Technik mit dem Namen aacPlus macht Musikstücke um 50 Prozent kleiner als in reiner AAC-Komprimierung. Durch PS spart Version zwei nun ein weiteres Drittel ein - und schrumpft das Original auf ein Vierzigstel. Plattenfirmen leben längst nicht mehr nur vom Tonträgerverkauf. Mobilangebote sollen Musikläden, Saturn und eBay Konkurrenz machen. In naher Zukunft könnten Alben und Play-Listen überwiegend mobil vertrieben werden - die Mobilfunkanbieter würde es freuen.

Beim Musicshop von O2 stehen bereits 150 000 Lieder zum Download bereit - im Format aacPlus. Vodafone benutzt es ebenfalls. Bislang kann hierzulande nur das Luxus-Handy Siemens SX1 diese aacPlus-Musik abspielen. In Japan dagegen tragen schon Geräte von vier großen Herstellern, Toshiba, Hitachi, Sanyo und Casio, die Technik aus Franken in sich. Auch der Marktführer Nokia hat sie im Sommer 2004 lizenziert.

"Handyhersteller und Netzbetreiber verlangen aacPlus", sagt Hideaki Chaki, Manager des japanischen Chipherstellers Renesas. "Musikdienste sind ohne Frage das nächste große Thema im Mobilgeschäft, und aacPlus ist die effektive Wahl für die Verbreitung von Musik." Renesas hat gerade die Fertigung von Handykomponenten mit der zweiten Version von aacPlus begonnen.

Bernhard Grill vom Fraunhofer-Institut skizziert den größeren Kontext: "CD, DVD - auf Dauer halte ich den physischen Datenträger nicht für die optimale Lösung." Soll heißen, eines Tages werden sämtliche Inhalte - zuerst Musik, dann Videos und wer weiß, was - nur noch auf einem Server liegen. Langfristig sind Heimoder Mietserver auch als virtuelles Plattenregal für unterwegs gedacht.

Stefan Streit, Vizepräsident bei Sony Ericsson, beschreibt das so: "Sony hat die Philosophie, dass man zu Hause Heimserver stehen haben wird, mit seinen gesamten Daten drauf. Bilder, Mails, Filme, Musik, Spiele - persönlicher Content, zentral gespeichert. Unsere Rolle ist dabei, ein mobiles Gateway zu schaffen, mit dem man darauf zugreifen kann." Mit anderen Worten: dabeihaben ohne herumzuschleppen.

Satte Bässe, klarer Gesang: Der Song Flut der neuen deutschen Band Voltaire rockt. Doch in diesem Fall kommt das Lied von keinem Discman, dringt auch nicht über MTV oder UKW ins Haus. Sondern über Telefonkabel - mit einer schmalbrüstigen Datenrate von 32 Kilobit pro Sekunde, in Echtzeit... - hören Sie, was im Heft nur beschrieben werden kann:

40-mal so klein: Der Song "Flut" (4:46 Min.) nimmt auf CD rund 40 Megabyte (MB) Speicherplatz ein. Nur etwas mehr als 1 MB sind es mit aacPlus v2 in 32 kbit/s.

Um den Stream anhören zu können, benötigen Sie die Abspielsoftware Winamp, die sie unter www.winamp.com kostenlos herunterladen können.

Auch für Mac und Linux gibt es einen acPlus Player: http://www.audiocoding.com.

Und dann hören Sie hier den Song

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