Unsere Gene

Die Zeit
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Der "Schrott" steuert die Gene

In den Chromosomen sind die Bausteine des Genoms in Form der charakteristischen Doppelhelix aufgereiht. Aber die Erbinformation ist nicht in jeder Zelle dieselbe (1). Schon länger bekannt sind Abweichungen, bei denen ein Baustein gegen einen anderen ausgetauscht wurde, die SNPs. Zwei Menschen unterscheiden sich in rund sechs Millionen SNPs. Inversionen entstehen, wenn Abschnitte aus der DNA gelöst und umgekehrt wieder eingebaut werden. Bei Insertionen werden DNA-Stücke neu eingefügt. Bei Deletionen gehen Gene verloren. Manche Gene liegen in mehreren Kopien vor. Diese copy number variants (CNVs) beeinflussen die Genaktivität.

Auch die Vorstellung, dass ein einzelnes Gen etwa für eine Krankheit verantwortlich ist, trifft in den seltensten Fällen zu. Gene auf unterschiedlichen Abschnitten der DNA wirken auf komplexe Weise zusammen (2).

Überhaupt bestehen nur wenige Prozent des Erbguts aus Genen herkömmlicher Definition, die eine Bauanleitung zur Herstellung der Eiweiße (Proteine) in den Zellen enthalten. Der weitaus größte Teil des Genoms galt lange Zeit als sinnloser evolutionärer Schrott (»Junk-DNA«). Inzwischen hat sich herausgestellt, dass diese vermeintliche Müllhalde des Genoms wichtige biologische Funktionen erfüllt. In ihr verbirgt sich offenbar der gesamte hochkomplexe Steuerungsapparat, der die Aktivität der Gene reguliert und koordiniert.

Dazu gehören Promotoren und Enhancer, kurze DNA-Segmente, die bestimmen, ob, wie schnell und wie häufig ein Gen in einer Zelle überhaupt aktiv ist. Bei jeder Aktivität entsteht eine molekulare Abschrift des Gens (Boten-RNA). Sie transportiert die Bauanleitung zu den Proteinfabriken der Zelle.

Die wichtigste Steuerungsaufgabe hat dabei das erst vor wenigen Jahren entdeckte System der microRNA-Gene. Es steuert alle grundlegenden biologischen Prozesse wie zum Beispiel die Entwicklung, die Zellspezialisierung, die Immunabwehr oder die Alterung, und seine Defekte sind offenbar eine Hauptursache für die Entstehung von Krebs und Metastasen und für viele chronische Krankheiten. Es gilt daher als das derzeit produktivste Feld der Pharma- und Medizinforschung.